Quelle: Aus Textskript zum Film |
DERRIDAin memoriam: Jacques Derrida |
Derrida:Was mich an den Augen interessiert, ist, dass sie den Teil des Körpers bilden, der nicht altert. Oder anders ausgedrückt: Wenn man nach seiner Kindheit sucht und dabei alle Anzeichen körperlichen Verfalls mit einbezieht, sei es der Rückgang der Muskulatur, das Ergrauen des Haars, Veränderungen in Gewicht und Größe, So findet man die Kindheit nur in den Augen wieder. Und das Bewegende daran ist, dass auch ein Mann meines Alters in die Augen seiner Kindheit blickt. .."
B.S.: als narzißtischer Betrachter des eigenen Spiegelbilds denke man sich dazu "seinen Teil".
Hegel sagt von den Augen, sie seien die äußere Manifestation der Seele. Durch die Augen wird die Seele, das Innere, nach außen offenbar. Ich übersetze das so: Der Blick kennt kein Alter. Die Augen bleiben ein Leben lang gleich.
B.S.: "Äussere Manifestation" sind schnell behauptet. Derrida vermeidet es in diesem Interview offenbar absichtlich, die Vielfalt solcher in die Philosophie-Geschichte eingegangener Behauptungen einzufangen. In seinem Opus "Grammatologie" bespricht er ausführlich Aristoteles diesbezügliche Ansicht in "De anima" (dt. "Von der Seele"), die Hegel kannte:
Nächster Ausdruck der menschlichen Seele ist die Stimme. Das Bild von der aushauchenden Seele lebt vom Bild der verhallenden Stimme.
B.S.: Beide "äusseren Manifestationen" rufen reges Pro und Contra hervor. Man möchte sich allzugern einmischen. Zumal es sympathisch erscheint, wenn sich grosse Philosophen mit Körper und Seele fast lyrisch beschäftigen. Die Problemstellung liegt jedoch nicht auf der Hand. Ein verborgenes Inneres, das einzukreisen, der Terminus "Seele" anzubieten scheint, das aber auch das sprachlose Tier offenbaren kann, bedient sich verschiedener Ausdrucksmedium. Modell "Froschkönig" ?"
B.S.: Die Schamesröte, "Scham" = "Verlegenheit", instantane Reaktion auf den ANDEREN, unverbirglich (ist das Wort "erlaubt", statt profan unkontrollierbar - ein Hauch von Heideggerscher Neologismik?), ehrlich soweit man das für spontane Gefühle überhaupt noch sagen muss. Und weitere Spontan-Reaktionen wie der Herzschlag bei der Umarmung des ANDEREN.
B.S.: "Reaktionen, die nicht lügen können" - sind das nicht auch "äusseren Manifestationen"? Aber Hegel ist der Philosoph des Geistes, keines Manitu, der über uns schwebt, sondern im menschlichen Tun entsteht und sich äussern, manifestieren muss - oder Hegel ist der Philosoph des tätigen Geistes. Die Spontanreaktionen allerdings waren ihm dafür wohl zu geringfügig? Vorsicht, suchen wir weiter, wie Derrida, nach der entscheidenden Stelle.
Etwas Ähnliches gilt für ein anderes Körperteil, nämlich für die Hände... Mich interessieren die Hände von Philosophen, z.B. Heidegger, oder die von Kant und Husserl. Mich interessieren ihre Hände und was sie über die Hände sagen und das Privileg, das sie diesem Körperteil einräumen.
B.S.: Das klingt verklärend wie in des Griechen Ritsos Gedicht "Das sind die Hände der Kommunisten" aus den 60igern.
Jeder Schauspieler gleichwelcher Präsenz entdeckt irgendwann seine
Hände, führt ihre Feingliedrigkeit vor, in geschwungenen Gesten, eine Art Selbstgenuss, der so schnell vergeht wie die Stimme, deutlich ausstellbar auf der Bühne. Sich dabei zu sehen, wäre eher eine Bremse. Aber in diesem Bereich der ausgestellten Subjektivität gibt es immer "zuviel zu sagen", statt es reell zu tun, es anderen vorzustellen..
Ganz abgesehen von ihrer evolutionsgeschichtlichen Bedeutung, schließlich vollzieht sich die so genannte Hominisation des Tiers über die der Hand. Ich meine nicht, dass die Hand an sich gleich bleibt. Die Hand verändert sich im Laufe des Lebens. Dennoch dienen sowohl die Augen als auch die Hände als Wiedererkennungszeichen. Die Zeichen, an denen man den Anderen erkennt. Paradoxerweise sind es bei uns selbst die Körperteile, die wir am seltensten betrachten.
Womit wir wieder beim Narzißmus sind. Wir können uns in einem Spiegel betrachten und uns ein recht gutes Bild von unserem Körper machen. Aber es ist schwierig, den eigenen Blick festzuhalten oder sich ein Bild der eigenen Hände zu machen, wie sie sich bewegen und gestikulieren. Das ist schwierig. Und genau diese, wie soll ich sagen, diese Gestikulation, die Gestik der Hände wird vom Anderen besser gesehen oder erkannt als von mir. Das meine ich damit.
B.S.: Hier und in dem folgenden Absatz gibt D. für mich die bisher deutlichste Stellungnahme zum "Narzißmus" ab.
Derrida: Es gibt weder den Narzißmus noch den Nicht-Narzißmus; es gibt mehr oder weniger verständnisvolle, freigiebige, offene und ausgedehnte Narzißmen, und was man als Nicht-Narzißmus bezeichnet, ist nur die Ökonomie eines viel einladenderen und gastfreundlicheren Narzißmus, der offen gegenüber der Erfahrung des Anderen als Anderem ist.
Ich glaube, ohne die Bewegung der narzißtischen Wiederaneignung wäre die Beziehung zum anderen vollkommen zerstört, sie wäre von vorneherein zerstört.
Die Beziehung zum anderen muß, selbst wenn sie asymmetrisch bleibt, offen und ohne mögliche Wiederaneignung, eine Bewegung der Wiederaneignung in das Selbstbildnis skizzieren, damit Liebe möglich ist. Liebe ist narzißtisch. (Auslassungspunkte, 1992)