DERRIDAin memoriam: Jacques Derrida |
Derrida: Ich weiche etwas vom Thema ab und stelle zunächst eine Frage: Was ist der Unterschied zwischen dem "Wer" und dem "Was"? Handelt es sich bei der Liebe um die Liebe zu einer Person? Oder handelt es sich um die Liebe zu etwas?
Nehmen wir einmal an, ich liebe eine Person. Liebe ich diese Person für ihre absolute Einzigartigkeit? "Ich liebe dich, weil du Du bist." Oder liebe ich ihre Eigenschaften: Schönheit, Intelligenz ... Liebt man eine Person oder etwas an einer Person?
Der Unterschied zwischen dem "Wer" und dem "Was" trifft mitten ins Herz und teilt es. Man sagt, die Liebe sei eine Herzensregung. Regt sich mein Herz, weil ich eine Person liebe in ihrer absoluten Einzigartigkeit, oder liebe ich die Art, wie diese Person sich gibt? Man sagt, Liebe beginnt mit Verführung. Man fühlt sich angezogen, weil die andere Person so oder so ist. Umgekehrt wird die Liebe enttäuscht, oder sie stirbt, wenn man sich eingestehen muss, dass diese Person unsere Liebe nicht verdient. Auf jeden Fall war diese Person nicht so, so oder so. Wenn die Liebe stirbt, wird also deutlich: Man hat die Person nicht um ihrer selbst willen geliebt, sondern weil sie so, so oder so war. Man hat also etwas geliebt, nicht eine Person.
Im Hinblick auf die Liebe heißt das so viel wie: Die Liebe spaltet sich in das "Wer" und das "Was". Die Frage des Seins, um zur Philosophie zurückzukommen, die erste Frage der Philosophie lautete: "Was ist das Sein?" Die Philosophie beginnt mit der Frage nach dem Dasein. Und diese Frage teilt sich auch hier in das "Wer" und das "Was". Ist das Sein jemand oder etwas?
Das ist jetzt etwas abstrakt, aber ich glaube, dass alle, die lieben, die anfangen zu lieben oder aufhören zu lieben, sich in diesem Dilemma befinden.
Man möchte der Person treu sein, in ihrer Einzigartigkeit.
B.S.: Hierzu kann der Derrida-Leser nicht schweigen. Das ist für mich Derridas Vermächtnis. Ausgerechnet Derrida, der nach der Entweihung so hehrer Werte wie Wahrheit, aufrichtiger Religiösität, aber auch Humanität durch Nietzsche und Nachfolger, daran war, auch noch die letzten Illusionen auf irgendwelche ursprünglichen Werte abzustauben !! Ausgerechnet Derrida spricht hier von der Einzigartigkeit, oben sogar absoluten Einzigartigkeit des ANDEREN, des Liebenden. Und das ist sicher ein ursprünglicher Wert, wie schwer auch immer zu fassen !!! Dass er für diese Einzigartigkeit keine Bestimmungen angibt, womit er übrigens unweigerlich in das "Was" abgleiten würde, ist eher hochzuhalten. So ist, wie er sagte, tatsächlich das von ihm benannte Dilemma der Liebenden von Anfang auch eines der Philosophie, der begrifflichen Klärung wie des menschlich nahen Verstehens.
Aber man merkt: Diese Person ist nicht diejenige welche. Ihre Eigenschaften und ihr Bild entsprechen nicht dem, was man zu lieben glaubte. Das heißt, die Treue wird bedroht von diesem Unterschied zwischen dem "Wer" und dem "Was".