Datum: | 08.04.1995 |
Ressort: | Reporter |
Autor: | Christa Schaffmann |
Seite: | 34 |
Mit sieben Jahren bekam er zum Geburtstag Hauffs Märchen "Der kleine Muck" geschenkt. Das Buch bewahrt er bis heute auf. Im Nachkriegsjahr 1949 war es ein ganz besonderes Geschenk. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, daß Thomas Schmidt kurze Zeit später die Wunderpantoffeln tragen, mit dem Zauberstöckchen Gold ausspüren und lange Eselsohren wachsen und verschwinden lassen würde.
Wenn er heute darüber spricht, mit seiner leisen und geheimnisvoll klingenden Stimme, dann ersteht noch einmal Babelsbergs Traumwelt aus den frühen 50er Jahren. Wolfgang Staudte und Peter Podehl, Thomas Schmidts Vater, hatten das Drehbuch für den "kleinen Muck" fertig und waren auf der Suche nach der idealen Besetzung.
Keine Südfrüchte
Man erwog, die Rolle des kleinen Muck mit einer Frau zu besetzen. Eines Tages wurde Staudte auf den kleinen Jungen Thomas Schmidt aufmerksam gemacht, der im Studio war. Wenig später hatte er die Rolle.
Es begann eine abenteuerliche Zeit ohne Schule, so erinnert er sich, zwischen interessanter Bühnentechnik und inmitten phantasievoller Menschen. Und Phantasie brauchten die Filmemacher in jeder Beziehung, selbst wenn es nur darum ging, das Westgeld für ein paar Südfrüchte aufzutreiben, ohne die ein orientalischer Markt wohl nicht glaubhaft gewesen wäre.
Das ist lange her. Und der Ex-Star der DEFA genießt es, wenn Journalisten auch mal nach seiner späteren Karriere fragen. Medizinstudium in München, Facharztausbildung für innere Medizin in Ulm, klinische Praxis im Bereich der Psychosomatik in Köln, Forschungsgsarbeit an der Medizinischen Hochschule Hannover, wo er heute habilitierter Sozialmediziner in der Abteilung Epidemiologie ist.
Sein Wirkungsfeld hier ist die Präventiv- und Verhaltensmedizin. Das klingt nach Gesundheitsapostel, diversen Vorschriften, die das Leben verlängern, aber nicht unbedingt schöner machen. Schmidt bedient das Vorurteil nicht. "Als Kind beeinflußten mich die frühen Filme von Hans Hass, dem Zoologen, Meeresforscher und Unterwasser-Filmer." Er wollte so ein Forscher werden, wurde schließlich Präventivmediziner und findet, dies sei nicht weniger spannend.
Er erzählt von Untersuchungen amerikanischer Kollegen, denen allein durch eine radikal umgestellte Lebensweise erstaunliche Veränderungen an schwer erkrankten Patienten gelungen sind. Was niemand für möglich gehalten hat: verengte Herzkranzgefäße weiteten sich wieder - ohne operativen Eingriff. Ein Mann, der nicht mehr heiß duschen und keine Treppe mehr steigen konnte, klettert inzwischen wieder auf Berge.
"Man hat dort gewagt, den Patienten zu sagen: Es geht nicht um ein Fitzelchen weniger Fleisch, um ein Fitzelchen weniger Fett, es geht um gar kein Fleisch und keinerlei tierisches Fett. Und es hat funktioniert!"
Schmidt redet sich in missionarischen Eifer und nimmt sich dann sofort zurück. Er weiß, es wird Jahre dauern, bis sich der Lebensstil einer Mehrheit geändert haben wird.
Ein Anfang ist erkennbar bei den Reichen, die schon alles haben und es noch lange gesund genießen wollen, sagt er. Unter ihnen wird es allmählich schick, sich bewußt zu ernähren. Bis diese Lebenssicht sich durch alle Schichten gearbeitet haben wird, kann es noch lang dauern.
"Präventivmedizin ist nicht eingebunden im wirtschaftlichen Kreislauf, man kann daran kein Geld verdienen wie mit Medikamenten. Also fehlt die Lobby." Insofern ist er über seinen Ruhm als kleiner Muck gar nicht böse, gibt er ihm doch hin und wieder Gelegenheit, auch außerhalb medizinischer Kreise auf sein heutiges Anliegen aufmerksam zu machen.
Spätes Geschenk
Schmidts Familie verließ zwei Jahre nach der Uraufführung des Films die DDR. Den Anlaß bildete die Produktion des Films "Das tapfere Schneiderlein", für die den Machern eine peinlich ideologisierte Marschrichtung vorgegeben und später auch umgesetzt wurde. Allerdings nicht mehr von Peter Podehl, der da schon in München arbeitete.
"Der kleine Muck" trat seinen Siegeszug um die Welt an, ohne daß man in der Bundesrepublik etwas davon bemerkte. Schmidt läßt heute offen, ob der Film bewußt unterdrückt wurde oder nur an der Pleite eines Verleihers scheiterte.
"Es war die Zeit des Kalten Krieges, da wurde das Zerreißen einer Kriegserklärung - wie im Film geschehen - vielleicht doch von einigen schon als tendenziös gewertet."
Schmidt steht bis jetzt zu dem Film, auch und gerade zu dieser Szene. 150 Millionen Menschen sollen das Märchen auf der Leinwand seit der Premiere im Filmtheater Babylon 1953 gesehen haben. Wie sehr der Streifen Generationen in der DDR beeinflußt und Filmgeschichte geschrieben hat, erfuhren Schmidt und sein Vater erst nach der Wende.
Er nennt das heute "ein spätes Geschenk". +++